Die SGE hatte in dem Spiel nie eine Chance. Ein analytischer Blick auf das ziemlich betrübliche Treiben an der alten Försterei.
Die Aufstellung


Oben: Die Aufstellung mit Toren, Vorlagen (inkl. herausgeholte Elfmeter) und algorithmisch (aus statistischen Spieldaten) generierten Noten.
Die Realaufstellung der SGE, also die Orte, wo die jeweiligen Spieler sich im Durchschnitt aufgehalten haben.
Die Noten in Klammern oben sind Übersetzungen der Bewertungen der Seite sofascore.com. Sie werden automatisch generiert anhand der individuellen Spieldaten jedes einzelnen Spielers. Nur bei der Torwartposition muss die Note etwas angepasst werden, da die algorithmischen Bewertungen systematisch negativer ausfallen als die der Feldspieler. Auch die Informationen zur Realaufstellung sind Zitate nach sofascore.com.
Die Statistik


Die Highlights
Das Spiel
Die einschlägigen Statistiken oben verraten es schon: dauerhaft mehr Ballbesitz als der Gegner und trotzdem mehr Ballzeiten im eigenen als im gegnerischen Drittel – bedenkliche Zahlen, da sie dafür sprechen, dass man mit dem vielen Ballbesitz wenig anzufangen wusste, bzw. auf gezieltes Daraufhinspielen des Gegners.
Und so ungefähr war es auch. Ähnlich wie in der Spätphase der vergangenen Saison haben inzwischen alle Bundesliga-Gegner verstanden, wie das SGE-Spiel funktioniert und wie es recht wirksam bekämpft werden kann. Das Problem, das hier seit der frühen Saisonphase angesprochen wurde, schlägt inzwischen voll durch: Während Glasner und das Team im ersten Saisonviertel noch das Element langer Ballpassagen aus der eigenen letzten Reihe bis zum Abschluss (Positionsspiel) zumindest gelegentlich und auch durchaus nicht ganz erfolglos in ihrem Spiel anwendete, hat Glasner das nach der Unentschiedenserie in dieser Saisonphase bis heute weitgehend eingestellt. Stattdessen spielt die SGE mit einem mehr oder weniger dauerhaften Angriffspressing und Schnellkombinationen nach Ballgewinnen im Pressing oder im Mittelfeld.
Union Berlin schlug die SGE in diesem Spiel mit den eigenen Waffen, in diesem Fall indem sie einfach ebenfalls Angriffspressing spielten, nur eben viel aggressiver und aufwendiger als die SGE. Außerdem standen die Berliner tiefer und spielten ihr Konter- und Pressingspiel viel konsequenter, überließen der SGE ganz bewusst die Initiative, mit der die Eintracht aber aufgrund des fehlenden bzw. eingestellten Positionsspiel nicht viel anfangen kann, was sich während der gesamten Saison zeigt und wie gesagt, inzwischen jedem Gegner bekannt ist. Hinzu kamen weitere entscheidende Faktoren:
- Die schwachen Leistungen der SGE-6er Hrustic und Jakic
Hrustic, das wurde hier schon mehrfach dokumentiert, ist kein 6er und für diese Position ungeeignet. Inzwischen stellt sich die Frage, inwiefern der Spieler auf Bundesliganiveau überhaupt einsatzfähig ist. Der Leistungsunterschied zu den beiden Stamm-6ern Rode und Sow ist so groß, dass der Ausfall von beiden so schwer wiegt, dass es die Statik des SGE-Spiels insgesamt so stark beeinträchtigt, dass es instabil wird. Nur einige Beispiele für krasse Fehlleistungen beider SGE-6er, es ließen sich ein Dutzend weitere zeigen:

Das zweite Tor der Berliner in der 21. Minute ist ein krasser individueller Fehler von Jakic und dann ein starker Schuss von Prömel.

Auch bei Jakic sind solche krassen Entscheidungsfehler keine Seltenheit, auch er wird zügig den nächsten Schritt machen und sich an den hohen Handlungsdruck im oberen Profibereich gewöhnen und seine Fehlerquote massiv reduzieren müssen, wenn er nachhaltig auf diesem Niveau spielen will. Beide Spieler sind noch meilenweit von Rode und Sow entfernt. Wenn einer der beiden auf dem Platz steht, mag das nicht so auffallen, allein sind Jakic und Hrustic nicht in der Lage, ein zentrales Mittelfeld in der Bundesliga angemessen zu bilden.
- Das eigene zu inkonsequente Angriffspressing
Eine der Konstanten des SGE-Spiels war die ganze Saison über das frühe Anlaufen/Pressen des Gegners. Das ist ziemlich laufintensiv und macht nur Sinn, wenn ernsthaft auf Ballgewinne gespielt wird. Dazu müssen die Manöver mit großem Personal- und Laufaufwand durchgeführt werden. Ziel ist, auf alle konstruktiven Anspielstationen des Gegners Zugriff zu erlangen und so Ballgewinne zu erzwingen. Bei der SGE sahen die Bemühungen gegen Berlin oft so aus, wie in dieser Szene aus der 59. Minute:

Ob man ein solches Element gegen einen Gegner, der im Grunde jeden Aufbauball nach vorne bläst, überhaupt einsetzen sollte, ist schon fragwürdig. Wenn man es jedoch tut, muss das sehr weit vorne und sehr aggressiv angesetzt werden. Nichts davon war von Seiten der SGE zu sehen, im Gegenteil.
- individuelle Fehler in der Defensive
Das 0:1 fällt nach zwei langen Bällen der Berliner und einem Zweikampf- bzw. Stellungsfehler von Hinteregger (man kann aber gut und gerne auch die Ansicht vertreten, dass das ein ziemlich klares Foul an Hinteregger war. Nur wenn es kein Foul war, war es ein Fehler).
Im gesamten Spiel war Tuta, wie in den vergangenen Spielen, ein Schwachpunkt. Er ist inzwischen wieder vollkommen in sein altes, in jedem zweiten Zweikampf fehlerhaftes Spiel zurückgefallen und so im Grunde nicht einsetzbar. Inzwischen wissen alle Gegenspieler, dass sie mit Ball an Tuta einfach vorbeirennen können, da er in Zweikämpfen mit Gegner im Laufen einfach stehen bleibt, weder die Innenbahn konsequent zustellt, noch irgendwelche Anstalten macht, seitlich Tempo aufzunehmen und so in den Zweikampf zu kommen:

Es ist wirklich auch erstaunlich, dass der Spieler nicht selbst merkt, dass er mit derartigem Verhalten gegen keinen Bundesligastürmer mit etwas Tempo jemals einen Ball gewinnt. Wenn ein hochbezahlter Trainer wie Glasner über Monate nicht in der Lage ist, ein solches Fehlverhalten zu beheben, könnte der Spieler ja vielleicht selbst einmal darauf kommen, dass an dieser Art der Zweikampfführung etwas nicht stimmen kann und man dem Gegenspieler damit ungefähr so viel entgegenzusetzen hat wie eine Slalomstange. Dass Awoniyi hier völlig freistehend aus 16 Metern den Ball übers Tor schießt, ist pures Glück für die SGE.
- Kettenfehler bzw. schlechte Abstimmung

Es ist durchaus fraglich, inwiefern dieses extrem weite Aufrücken zum Angriffspressing zielführend ist gegen eine Mannschaft, die unentwegt lange Bälle spielt. Hinteregger in Sprintduelle gegen Awoniyi zu schicken, insbesondere wenn statt des stärksten 1 gg. 1 – Bundesligatorwarts Trapp mit Jens Grahl ein Spieler im Tor spielt, der seit Jahren kein Pflichtspiel mehr bestritten hat, ist ebenfalls fragwürdig. Die Mannschaft derartig ins Verderben laufen zu lassen, ist von außen kaum nachzuvollziehen.
Noch eine Szene aus der 23. Minute:

Prömel schießt den dann freistehend neben das Tor. Viel Glück für die SGE.
Eine solche Kettenabstimmung im defensiven Block ist einer Profimannschaft schlicht unwürdig und diese Fehler bestehen so oder so ähnlich (man erinnere sich an die Gegentore gegen Freiburg zuletzt) seit Saisonbeginn. Zwischenzeitlich konnte die Mannschaft die Fehlerquote etwas reduzieren, inzwischen treten diese haarsträubenden Kettenfehler wieder regelmäßig auf, das ist und bleibt Trainerarbeit.
- fehlende Kaderbreite
Neben dem Angriffspressing, das die Berliner gut umgehen konnten, ist die zweite gute Waffe der SGE die extrem starke, schnelle und technisch gute Offensivreihe Kostic-Kamada-Borré-Lindström-Knauff. Das Problem ist, dass diese Reihe stark aufeinander eingespielt und damit auch aufeinander angewiesen ist. Die SGE hat zwar einige Spieler im Kader, die spielerisch in der Lage sind, in diesem Reigen mitzuhalten (Hauge, Paciencia, mit Abstrichen Lammers), allerdings spielen diese Spieler so selten, dass sie so wenig mit den Kollegen eingespielt sind, und daher kaum einsetzbar sind. Auch ist der spielerische Qualitätsunterschied der 5 selbst zu Hauge noch sichtbar. Auch Hauge zerlegt eigene Angriffe mit falschen Passentscheidungen und/oder technisch schwach ausgeführten Pässen. Ein Beispiel:

Auch das 0:2 nimmt seinen Ausgang bei einem verlorenen Zweikampf von Hauge, allerdings tief in der Union-Hälfte.
Dennoch ist Hauge von den Spielern aus der 2. Reihe noch derjenige mit der größten Perspektive. Besonders die Szene in der 41. Minute, in der er mit einem starken Dribbling die einzige SGE-Chance der ersten Hälfte produziert, zeigt, welches Potenzial der Spieler mitbringt. (eintracht.tv ab 44:06)
Fazit
Die Berliner gewannen das Spiel fast ausschließlich indem sie die SGE zu Fehlern zwangen und ansonsten mit großem Aufwand ihr Tor verteidigten.
Die Berliner Spielanalage ist Anschauungsunterricht für Glasner und seine Mannschaft, da es zeigt, wie man auch als Mannschaft, die ihre Stärken nicht im Positionsspiel/ eigenem Ballbesitz hat, zuverlässig Spiele gegen ebenfalls eher auf Konter spielende Gegner gewinnen kann. Dafür stehen die Berliner auch gegen solche Gegner tiefer und geben ganz bewusst Initiative an den Gegner ab, so auch gegen die SGE. Das ist wie gesagt ziemlich durchschaubar und man muss Union nicht in die Falle gehen.
Gegen Union zeigte die SGE eines ihrer schwächsten Saisonspiele, einige Spieler, wie Tuta, aber auch Hrustic, haben seit Saisonbeginn kaum oder keine Fortschritte gemacht. Diese Spieler – es gibt weitere, wie etwa Ache oder Touré – sollten ernsthaft darüber nachdenken, wo, auf welchem Niveau und unter welchem Trainer sie ihre jungen Karrieren fortsetzen wollen. Solche Spieler brauchen sowohl viel Spielzeit, als auch einen Trainer, der mit ihnen intensiv an individuellem Fehlverhalten arbeitet.
Erst mit der Einwechslung von Hasebe in der 76. Minute auf der 6er-Position erhielt das SGE-Spiel etwas mehr Struktur. Es bleibt eines der großen Glasner-Rätsel, warum er Hasebe nicht als 6er einsetzt, der vielleicht nicht mehr in der Frequenz wie Rode und Sow spielen kann und in den Top-Spielen vielleicht auch nicht mehr das individuelle Tempo mitgehen kann, der aber nach wie vor die Position deutlich stärker spielen kann als Hrustic (was allerdings auch nicht sonderlich schwierig ist) und Jakic und der die sich häufenden Ausfälle von Rode und Sow etwas hätte abfedern können. Auch warum man einen soliden Bundesliga-6er wie Kohr jahrelang nach Mainz verleiht, ist inzwischen nur noch schwer nachzuvollziehen. Jakic wäre als vierter 6er auch regelmäßig einsetzbar, braucht aber sehr sichtbar einen sicheren Nebenmann auf der Position, um seine Unsicherheiten, Stellungsfehler, Handlungsentscheidungen und Übermotiviertheiten auszugleichen. Stattdessen ließ Glasner Hasebe oft als Innenverteidiger auflaufen, der er nicht ist, und machte ihn damit, wie zuvor schon Hütter, zum Sicherheitsrisiko. Mit einer solchen Personalpolitik tut man niemandem einen Gefallen.
Womit wir beim letzten Punkt wären: Das Union-Spiel hat erneut gezeigt, dass der Kader qualitativ zu wenig breit ist. Hinter der ersten Elf klafft eine große Lücke, die kaum gestopft werden kann. Das ist zum Teil der Kaderpolitik der letzten Jahre geschuldet, allerdings teilweise auch hausgemacht. Warum weder Da Costa, noch Touré, noch Durm, Hauge, Ilsanker oder Paciencia in eine dauerhafte, leichte Rotation aufgenommen wurden, ist rätselhaft. Diese Spieler sind gestandene Bundesligaspieler, die auf ihren Positionen jederzeit einsetzbar sind. Wenn man sie allerdings monatelang auf die Bank setzt und ihnen maximal Kurzeinsätze gibt, wird der Abstand zur Stammelf immer größer und es ist dann kaum verwunderlich, dass sie mit dem Rest der Mannschaft nicht eingespielt sind, und wenn sie dann einmal spielen müssen, hundert Missverständnisse auf dem Platz entstehen und kein Ablauf mehr passt. Wenn dann eine Situation wie vor dem Union-Spiel auftritt, in dem mehrere Stammspieler ausfallen bzw. geschont werden sollen, bricht das komplette Chaos in allen Mannschaftsteilen aus und man hat nicht mehr den Hauch einer Chance gegen eine sehr durchschaubar spielende und technisch unterlegene Mannschaft wie Union Berlin – das muss man auch erst einmal hinbekommen.
Bei aller Kritik muss aber auch festgehalten werden, dass es auch für Glasner die erste Erfahrung mit einer Mannschaft in voller Doppelbelastung ist, das gleiche gilt für viele der jungen Spieler.
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