Gegen sehr defensive Wolfsburger verlor die SGE das Spiel letztlich unglücklich. Die enorme optische Überlegenheit brachte nichts ein und das Problem, solche tief und mit großer Quantität verteidigenden Mannschaften zu „knacken“, ist aus der vergangenen Saison bekannt. Gründe und Lösungsmöglichkeiten in der Spielanalyse.
Die Aufstellung
SGE: Trapp – Knauff (82. Alidou), Tuta, Ndicka, Pellegrini – Jakic, Sow – Kolo Muani, Götze, Kamada (64. Lindström) – Borré (64. Alario)
VfL: Casteels – Baku, Lacroix, van de Ven, Paulo Otavio – Svanberg (F. Nmecha), Arnold Franjic (Guilavogui), Brekalo (89. Gerhardt) – Waldschmidt (79. Marmoush), L. Nmecha
Die Statistik
Die Highlights
Die Spielanalyse
Zunächst einmal ist es ein regelmäßiges Phänomen, dass man mit extremer Defensiv- und Kontertaktik sehr erfolgreich Fußball spielen kann und es gibt durchaus Mannschaften, auf die eine solche Spielidee gut passt. Die besonders in Deutschland häufig vertretene Ansicht, nur offensiv ausgerichteter, kreativer Fußball sei „guter“ Fußball, ist ein spielphilosophisches Dogma und Dogmen verstellen auch im Sport den Blick auf die Vielfalt von Lösungsmöglichkeiten. Letztlich geht es im Profisport nur darum, ein Spiel zu gewinnen und Sache einer undogmatischen Spielanalyse wird sein müssen, genau solche Lösungen zu finden.
Bevor wir uns mit taktischen Möglichkeiten für solche Situationen wie in dem Spiel der SGE gegen Wolfsburg befassen, ein Blick auf das einzige Tor des Spiels, denn die Entstehung dieses Tores gibt schon erste Hinweise auf adäquates und inadäquates Verhalten gegen sehr defensive Gegner. Der Ecke, die zum Tor führte, ging ein Freistoß der Wolfsburger in der SGE-Hälfte voraus, die letzte Spielszene vor dem 0:1 waren also die Sekunden vor diesem Freistoß. Ausgangspunkt der Entstehung war ein langer Schlag nach Freistoß von Casteels:

Die SGE schafft es, den Ball mit einigen kurzen Pässen zu sichern und versucht dann einen Angriffsaufbau durch die Mitte.

Stattdessen verspringt Borré der (von Tuta allerdings auch nicht optimal gespielte) Ball und landet bei Waldschmidt. Hier:

Aus diesem Freistoß entsteht dann die Ecke, die zum 0:1 von den Wolfsburgern verwertet wird.
Diese etwas längere Szene ist nicht nur spielentscheidend gewesen, sondern auch ziemlich typisch für das Spiel insgesamt: Viel Aufbauspiel SGE, auch viele eigentlich gut angesetzte Angriffe, aber zu viele kleine und große Fehler bei der technischen Ausführung bzw. Abstimmungsprobleme (die allerdings von den Wolfsburgern mit ihren sehr kurzen Abständen in den beiden Viererketten auch provoziert wurden).
Zu der ersten Standardsituation kommen die Wolfsburger wie die Jungfrau zum Kinde. Warum Pellegrini in dieser vollkommen ungefährlichen Situation derart unmotiviert auf Waldschmidt zustürmt, wird sein Geheimnis bleiben.
Aber auch zum Aufbauspiel gibt die Szene etwas vermittelt Auskunft. Wie gezeigt hat Borré drei gute Anschlussmöglichkeiten, obwohl die Wolfsburger in der Zentrale massiert stehen. Hier nochmal die Situation:

Und solche Situationen gab es viele. Der Anspruch von Trainer und Mannschaft, so einen Gegner mit geplantem Aufbau- und Positionsspiel ausspielen zu wollen, ist sehr ambitioniert und zumindest in diesem Spiel ging das zu oft schief. Betrachten wir die Bemühungen der SGE in der Phase zwischen 45. und 60. Minute, in der sich das Spiel letztlich entschied, etwas genauer.
Es lassen sich in dieser Zeit 26 voneinander abzugrenzende Spielsituationen feststellen und man sollte sich das mal kurz zu Gemüte führen, um den Charakter des Spiels zu verstehen (wer sich da nicht durchkämpfen will, einfach hinter die 26 Punkte springen):
1 – Angriffsversuch SGE: Flugball Pellegrini in die Spitze auf Borré, zu ungenau Ball landet beim VfL (eintracht.tv ab 00:54)
2 – Angriff VfL: Casteels spielt einen langen Flugball in die Spitze Richtung Nmecha, Ball wird nicht gefährlich (eintracht.tv ab 1:10)
3 – Angriff VfL, SGE presst sofort vorne, Lacroix spielt den langen Ball Richtung Nmecha, Ndicka gewinnt den Zweikampf (eintracht.tv ab 1:45)
4 – Angriff VfL, SGE presst vorne, Baku mit schwachem Longline-Pass in die Spitze, der bei Pellegrini landet (eintracht.tv ab 2:45)
5 – Angriff SGE, wieder Positionsspiel und das wieder etwas genauer:


6 – Angriff VfL: Abstoß Casteels zu Lacroix. Der spielt sofort den langen Flugball in die Spitze Richtung Nmecha. Der Ball landet bei Ndicka (eintracht.tv ab 3:40)
7 – Angriff SGE: Ndicka spielt den Initialpass wieder nach links auf Pellegrini, der sofort nach innen ins Dribbling geht und Svanberg gefoult wird. Freistoß SGE (eintracht.tv ab 4:30)
8 – Den Freistoß führt die SGE offensiv über links aus, Pellegrinis Hereingabe ist aber zu unsauber gespielt, obwohl Götze und Kolo Muani als Zielspieler so schlecht nicht standen.
9 – Angriff SGE aus Positionsspiel: Seitenwechsel in der letzten Reihe von links nach rechts, Ndicka-Tuta-Jakic-Knauff, aber der Seitenwechsel ist zu langsam gespielt und die Wolfsburger laufen sehr schnell und mannorientiert alle Anspielstationen für Knauff zu. Trotzdem springt noch ein Einwurf für die SGE heraus (eintracht.tv ab 5:25).
10 – Angriff SGE aus Positionsspiel: Pellegrini mit langem Ball aus der hinteren in die vorderste Reihe auf Kolo Muani, es ergibt sich eine recht interessante Situation mit Borré:

11 – Angriff SGE aus Aufbauspiel, diesmal über rechts. Knauff mit Tempodribbling, bleibt hängen, Einwurf SGE (eintracht.tv ab 6:32)
12 – Positionsspiel SGE in der VfL-Hälfte, verfrühter, unsauberer Anspielversuch von Götze Richtung Borré landet bei Casteels
13 – Positionsangriff Wolfsburg über rechts, SGE-Viererkette arbeitet gut und richtig, Halbfeldzuspiel von Baku landet bei Trapp
14 – Aufbauspiel SGE: Tuta mit unmotiviertem langen Ball in die Spitze, landet bei Casteels
15 – Aufbau VfL: Langer Ball Otavio Richtung Nmecha landet bei Tuta
16 – Aufbau SGE: Ndicka mit langem Ball in die Spitze, weit und breit kein SGE-Spieler in der Nähe
17 – Aufbau VfL mit Diagonalball von Casteels nach links, landet kurz drauf bei der SGE
18 – Aus dem Ballgewinn versuchen Götze und Kamada einen Konter, auch recht guter Pass von Kamada Richtung Kolo Muani, den Pass erreicht aber gerade so Lacroix noch vor Kolo Muani
19 – Aufbau Wolfsburg: Langer Ball Richtung Nmecha, landet bei Pellegrini, letztlich gibt es aber Einwurf VfL
20 – Aufbau SGE über links, Pelegrini mit longline-Chip-Pass auf Borré, aber die Wolfsburger stellen alle Anspielmöglichkeiten zu, Rückpass auf Pellegrini
21 – Aufbau über links Pellegrini, longline-Pass auf Götze, dessen Absatzpass landet bei Wolfsburg, Sow setzt nach, gewinnt den Ball, wird gefoult
22 – Die Freistoßflanke von Pellegrini Richtung Tuta ist gut und gefährlich, Wolfsburg kann aber klären
23 – Den Wolfsburger Konter entschärft die SGE-Kontersicherung ohne Probleme
24 – Aufbau SGE über Pellegrini, longline-Flugball Richtung Kamada linksaußen, Kamada steht abseits
25 – Den Freistoß bläst Casteels geradeaus in die Spitze, landet bei Pellegrini
Die 26. Aktion der 2. HZ, der Pass auf den entgegenkommenden Borré, führt dann zu dem Wolfsburger Freistoß und dann der Ecke, die zum Tor führt.
Erkenntnisse:
1. Von 8 Angriffsversuchen der Wolfsburger werden 6 mehr oder minder ungenau nach vorne gedroschen.
2. Die SGE setzt zwar jeweils zum Pressing an, generiert dabei aber keinen verwertbaren Ballgewinn, weil Wolfsburg die Bälle nach vorne geschossen hat, bevor ein Frankfurter vorne in einen Pressingzweikampf kommen kann
3. Die SGE versucht es abwechselnd variabel mit flachen Aufbaupässen durch die Zentrale (oft auf den entgegenkommenden Borré), Andribbeln oder Kombinationsspiel außen und
4. mit zunehmender Spieldauer auch mit zwei langen Bällen von Tuta bzw. Ndicka, die aber komplett im Niemandsland herunterkommen. Offenbar gibt es für solche Bälle keine geplanten Abnehmer.
Aus der Detailbetrachtung ergibt sich ein eindeutiges Bild von einer Mannschaft, die jede eigene Aufbaubemühung total verweigert, mit 11 Mann das eigene Tor verteidigt und praktisch jeden Ball umgehend Richtung Stürmer bläst und einem Gegner, hier der SGE, die gegen diesen defensiv sehr gut organisierten, zweikampfstarken und auch in der Breite schwer zu bespielenden Gegner 90 Minuten nach spielerischen Lösungen sucht.
Die taktische Situation, die in diesen 15 Minuten nach der Pause entsteht und die oben einmal detailliert dargestellt ist, spiegelt mehr oder minder den Ablauf der kompletten 90 Minuten wieder, mit der VfL-Führung und den offensiven Wechseln der SGE verschärft sich das eher noch: Lange Bälle des VfL vage Richtung Nmecha, aber meist einfach in die hintere Reihe der Eintracht. Dabei kommt dann ein Ballbesitzverhältnis von in der 2. Halbzeit 68:32 Prozent heraus, nur brachte das der SGE kaum Tormöglichkeiten ein.
Hier noch eine letzte Szene zum Veranschaulichen:

Wie kann man nun gegen einen solchen Gegner, der nur verteidigen will, gelegentlich kontern und sonst auf Freistöße und Ecken spekuliert, zu reagieren?
Zunächst und oberste Priorität ist es, möglichst keine überflüssigen tornahen Standards zu produzieren, das ging bei dem von Pellegrini verursachten Freistoß schief und wie es immer so ist, rächt sich das dann direkt. Bei eigenen Standards hingegen bieten sich Möglichkeiten, hier aber war die SGE schwach und kaum gefährlich. Aber welche taktischen Möglichkeiten gibt es?
Grundsätzlich muss Raum geschaffen werden, um Überzahlsitautionen herzustellen und Pass-, Lauf- oder Flankenwege Richtung Tor zu öffnen:
1. Man versucht den 11er-Defensivblock mit Schnellkombinationen, Seitenwechseln, vielen Pässen, Tiefenläufen, variablem Positions- und Aufbauspiel ins Laufen zu bringen, was zu kurzzeitig offenen Räumen führt, um diese dann zu bespielen. Das ist die schwierigste, riskanteste und voraussetzungsreichste Möglichkeit und das war die Idee der SGE in dem Spiel. Schwierig und voraussetzungsreich ist solch ein Spiel, weil es naturgemäß nur wenige Räume zum Bespielen gibt, daher müssen alle Manöver technisch und gruppentaktisch nahezu perfekt ausgeführt werden (können), es liegt nahe, dass sich diese Ausrichtung für Teams eignet, die erstens technisch sehr stark und zweitens möglichst eingespielt sind. Letzteres trifft auf die SGE in der derzeitigen Zusammenstellung nicht zu.
2. Man lässt sich auf das Spiel des Gegners nicht ein, steht selbst tief und provoziert damit Aufbau-Aktionen des Gegners. Man minimiert also das Risiko, geht erst im Mittelfeld ins Pressing und versucht selbst, stark auf Konter zu spielen. Wenn das beide Teams machen, entsteht naturgemäß eine Art Tennis-Fußball, bei dem sich beide Mannschaften den Ballbesitz versuchen zu schenken. Glasner verabscheut solche Tatktierereien und setzt sie nur im absoluten Notfall ein. Andere Trainer wie etwa Urs Fischer haben mit solchen Kniffen weniger Berührungsängste und sind damit durchaus erfolgreich. Hier fehlt der SGE gelegentlich die taktische Variabilität.
3. Eine Mischung aus beidem. Der dauerhaft geschenkte Ballbesitz wird zwar angenommen, die Pressingzone des Gegners aber versucht man mit langen Bällen aus dem Aufbau oder wenigen flachen Pässen in die Spitze oder auf dribbelstarke offensive Außen schnell und risikoarm zu überspielen. Die Idee ist, dem Gegner möglichst wenige Zugriffspunkte zu geben. Hierfür benötigt man vor allem extrem passstarke Spieler im Aufbau, sehr dribbel- und spiel- und passstarke Außen und möglichst mindestens einen robusten, kopfballstarken oder schussstarke (2. Reihe) Stürmer.
Fazit
Die SGE hat gegen den 11-Mann-Defensivblock der Wolfsburger zwar Mittel gefunden, scheiterte aber viel zu oft an technischen Fehlern, Missverständnissen und verpasste auch zu oft die wenigen Möglichkeiten zu Tempogegenstößen.
Wenn man versucht, über Positionsspiel von hinten nach vorne so einen Gegner auszuspielen, dann wird man immer irgendwo auf dem Platz Raum schaffen müssen, ein 1 gg. 1 gewinnen und/ oder überragende Pässe aus dem Aufbau spielen müssen. Im Kader der SGE befinden sich mit Hasebe, Rode und mit Abstrichen Sow drei Spieler mit dahingehenden Pass-Fähigkeiten. Mit Sow stand nur einer davon auf dem Platz. Besonders der Ausfall von Rode wiegt enorm schwer, er war sowohl gegen Bremen als auch gegen Leipzig der entscheidende Ideengeber, Sow allein ist in dieser Rolle zu wenig. Das Wolfsburg-Spiel, das zeichnete sich früh ab, wäre ein klassisches Spiel für einen überragenden Passgeber wie Hasebe gewesen und wenn man ihn wegen der defensiven Schwächen verständlicherweise nicht in der hinteren Reihe aufbieten will, wäre er doch zumindest auf der zweiten 6 eine Überlegung wert gewesen, viele Wolfsburg-Angriffe gab es ja nicht gerade zu verteidigen.
Das zweite Problem ist das fast schon dogmatische Konzentrieren auf Passspiel mit wenigen Kontakten. Wenn irgendwo Freiräume entstehen sollen, müssen die offensiven Außen versuchen, ihren Gegenspieler im 1 gg. 1 aus dem Spiel zu nehmen. Laut Sofascore setzten die SGE-Spieler in den 90 Minuten zu gerade einmal 7 Dribblings an, das ist für ein solches Spiel viel zu wenig.
So gelang es der SGE kaum einmal, den Defensivblock der Wolfsburger ins Laufen zu bringen, außen konnte man sich im 1 gg. 1 fast nie durchsetzen (es wurde aber auch kaum versucht) und auf den Aufbaupositionen trugen mit Tuta, Ndicka und Jakic drei technisch solide Passgeber oft die Aufbau-Verantwortung, die aber weder wie Rode offene Räume erkennen und nutzen können, noch millimetergenaue, auch längere, raumgreifende Pässe spielen können wie Hasebe.
Damit war es für die Wolfsburger nicht allzu schwierig, die Bemühungen der SGE zu verteidigen, allerdings muss man auch sagen, dass das Spiel des VfL schon an Spielzerstörung grenzte und der Sieg der Kovac-Mannschaft mit einem Ecken-Tor nach Torwartfehler überaus glücklich war.
Insgesamt ist das Problem nicht neu, solche Spiele gab es in den letzten Jahren häufig, daher ist ein weiteres Spiel dieser Art kein Grund für Alarmismus. In den kommenden Spielen gegen Marseille und Stuttgart werden sich ganz andere Spielverläufe entwickeln und anderes im Vordergrund stehen.
(Die angekündigte genauere Betrachtung der Trainingslehre zum Thema Kettenverteidigung dann in der Länderspielpause, gegen Wolfsburg war die Kette kaum gefordert)
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