Das vorletzte Gruppenspiel der Champions League war ein sehr intensives zweier starker Mannschaften – das die SGE gewann. Ein analytischer Blick auf die wichtigsten Momente.
Die Aufstellung
SGE: Trapp – Ebimbe (79. Alidou), Jakic, Smolcic, Ndicka, Lenz (45. Pellgrini) – Kamada, Sow – Lindström (69. Rode), Kolo Muani (79. Borré), Götze — Trainer: Glasner
OM: Lopez – Gigot (60. Kolasinac), Balerdi, Mbemba – Tavares, Veretout, Rongier, Clauss (86. Suarez) – Harit, Sanchez, Guendouzi (60. Ünder) — Trainer: Tudor
Die Statistik
Die Highlights
Die Spielanalyse
In dem Spiel gab es insgesamt zunächst drei einschneidende Situationen, nämlich die drei Tore, daher zuerst ein Blick auf deren Entstehung.
Das 1:0 entspringt einer eigenen Ballkontrolle der SGE, also Positionsspiel.

Nach dem Pass von Jakic auf Lenz wird es interessant. Zunächst spielt Lenz zurück zu Ndicka und geht ganz nach außen an die Auslinie, um zusätzlichen Platz zu schaffen und Ndicka die Initiative für ein 2 gg. 1 zu ermöglichen. Und so kommt die SGE in eine der Situationen, in der sie eine Schnellkombination spielen kann, zunächst über ein Kleingruppenmanöver (2 gg. 1 + 1 Ndicka/ Lenz gg. Clauss + Harit)

Das ist ein gezieltes Manöver. Indem Ndicka nah an Lenz herandribbelt, zieht er Harit mit in den engen Raum. Damit sind beide OM-Verteidiger mit einem Sprint von Ndicka aus dem Spiel zu nehmen. Solche Spielzüge können gut trainiert werden. Es kommt natürlich nun alles auf den Lenz-Pass an und dieser kommt außen perfekt, so ist Ndicka dann linksaußen durch.
Ähnliches gilt dann für den extrem starken Pass von Ndicka in die Zentrale. Der Angriff wird hier gezielt gegen die Laufrichtung des gegnerischen Defensivblocks fortgesetzt. Auch das ist kein Zufall, sondern ziemlich sicher mit den Spielern trainiert.

Mit diesem Pass muss nun der gesamte Defensivblock der Franzosen die Richtung wechseln, wodurch für Lindström und Kamada in der Zentrale der Raum aufgeht. Alles entscheidend ist allerdings, dass Lindström Gigot von dem Ndicka-Pass fernhält. Das kann er nur durch seine Lauffinte. Er tut so, also ob er den Ball an- und mitnehmen will, womit er Gigot auf sich zieht. Damit ist der Passweg auf Kamada frei, Lindström lässt durch und Kamada läuft frei aufs OM-Tor zu und vollendet dann auch stark.
Dieser Angriff ist für einen Gegner kaum zu verteidigen und Offensivspiel auf sehr hohemNiveau.
Wo wir gerade dabei sind, direkt ein Blick auf das zweite Tor der SGE in der 27. Minute.
Dieser Spielzug folgt einem Ballverlust der Gäste, ist aber kein klassischer, straight gespielter Konter, da Lindström den gewonnen Ball nicht direkt mit Tempo ausspielen kann:

Das ist aber kein Pass in den Lauf, dennoch versucht Lindström sofort, ins Tempodribbling zu kommen, steht dann aber rechtsaußen 1 gg. 3 und bricht daher diese erste Idee ab.

Das ist natürlich ein krasser Stellungsfehler der beiden Verteidiger, niemals darf man nebeneinander in so einen frontalen Zweikampf laufen, aber dass Götze und Lindström das sofort erkennen und dann technisch perfekt ausnutzen, ist toll gemacht. Bei der Spielfortsetzung haben Götze/Kolo Muani dann etwas Glück, weil der Götze-Pass in die Spitze auf Kolo Muani zunächst bei einem Gegner landet, aber Kolo Muani holt sich den direkt wieder zurück. Der folgende Doppelpass in der Box der Franzosen ist dann zwar spontan und improvisiert, aber auch hier ist das Spielverhalten von Götze natürlich überragend und in solchen Situationen sieht man, warum er jahrelang zu den stärksten deutschen Fußballern überhaupt gezählt wurde. Kolo Muani und Götze spielen das so schnell und geschickt aus, dass auch diese Schnellkombination nicht zu verteidigen ist. (siehe Highlights)
Das Gegentor fällt nach einer längeren Ballbesitzsequenz der Franzosen, bei dem das Eintracht-Pressing mit einem Seitenwechsel über die defensive Mittelfeld-Position Vertout überspielt wird, das war eine Strategie, die häufiger versucht wurde, insbesondere mit anschließendem Tiefenpass. Der Angriff hier startet tatsächlich ganz auf der linken Offensivseite der Franzosen, an der Außenlinie. Das ist auch notwendig, wenn das Manöver funktionieren, soll, denn man muss die tief stehende Vierer-Anlauflinie der SGE komplett auf eine Seite ziehen, wenn auf der anderen Seite der tiefe Passweg aufgehen soll. Nuno Tavares spielt den Ball also von ganz linksaußen auf die Halbposition Veretout.

Mbemba entscheidet sich dann für die lange Halbfeldflanke Richtung Guendouzi und die kommt auch exakt an, Guendouzi vollendet volley mit guter Technik. Das war stark gespielt. Lenz hat links praktisch keine Chance, die Flanke zu verhindern und dass kann dann nur noch in der Box geregelt werden, aber Kamada sieht nicht, dass hinter ihm Ebimbe 1 gg. 2 steht, sonst hätte er hier hinten in die Kette gemusst und Ebimbe verpasst es, rechtzeitig Guendouzi zu folgen, Jakic steht etwas zu hoch und kann so auch die Flanke nicht rückwärts verteidigen.
Das ist gut gestellt und gespielt von Marseille, man sieht aber in der Szene auch, welchen großen personellen Aufwand sie betreiben mussten, um gegen die 5-2-3-Defensive der SGE Überzahlsituationen herstellen zu können. OM steht hier mit 5 Spielern in der Spitze und der Rechtsverteidiger Mbemba (der auch sonst ein starkes Spiel machte) muss bis rechtsaußen mitgehen und die Flanke schlagen, damit das funktionieren kann. Entscheidend war, dass OM hier mit einem Seitenwechsel die rechte Halb-Bahn tiefenfähig anspielen kann – ein gutes Manöver.
So viel zu den drei Torsituationen. Die SGE fing sich in der 30. Minute einen Konter ein, den OM sehr stark ausspielte und den Smolcic dann mit einer starken Grätsche entschärft. Das war ein stark gespielter Konter der Franzosen, für die SGE kaum zu verteidigen, dementsprechend hier nicht allzu relevant.
Interessanter ist ein Blick in die zweite Halbzeit, als die SGE bis zur 70. Minute fast ausschließlich mit Verteidigen beschäftigt war und kaum noch zu eigenen Ballsequenzen kam. Warum?
Zunächst einmal: In den ersten Minuten der 2. Halbzeit war die SGE noch gut im Spiel, hatte über Ebimbe (eintracht.tv ab 4:40) und Götze (eintracht.tv ab 5:10) interessante Szenen, die aber nicht zum Abschluss gebracht werden konnten.
Mehrere Gründe sind für die folgende lange Druckphase der Franzosen auszumachen:
Erstens: Marseille erhöhte, kein Wunder, Spieltempo und offensives Risiko bis zum Maximum. Viele Bälle wurden schnell und direkt, oft einfach lang in die Spitze gespielt.
Zweitens: OM legte das Aufbauspiel noch breiter an und spielte schnelle Risikopässe in den Raum hinter der SGE-Pressingabteilung. Ein Beispiel:

Diese eigenen Ballpassagen spielte OM oft sehr ballsicher, kontrolliert und mit viel Laufaufwand, sodass auch das Mittelfeldpressing der SGE kaum noch Zugriffe fand.
Drittens: OM schaltete auf Angriffspressing.

Die Pressingfallen der Franzosen sind aber oft nicht sonderlich gut organisiert, so auch hier. Zwar wird mit 6 Spielern gepresst, zwei ballnahe SGE-Spieler (Götze und Ndicka) sind aber weder zugestellt noch mit direktem Zweikampfzugriff. Der Ball landet dann mit etwas Glück auch bei Götze und schließlich bei Pellegrini, der sogar einen Konter einleiten kann.
Dennoch setzt der erhöhte Druck der SGE zunehmend zu, sie wird minutenlang in die eigene Hälfte gepresst. Die SGE reagierte oft mit Befreiungsschlägen, auch Trapp schlug nun Bälle wieder weit, und Tempoläufen (Lindström/Kolo Muani), die aber fast immer abgefangen werden konnten.
Und immer wieder wurde seitens Marseille die Halb-Bahn hinter der Pressinglinie der SGE gesucht.

Das aggressive nach vorne Verteidigen der SGE-Sechser bei nicht press nachrückender Fünferkette hatten sich die Franzosen also als Einfallstor ausgekuckt und das ist natürlich eine gute Idee, denn es ist ein hier ebenfalls häufig gezeigter Schwachpunkt des SGE-Defensivkonzepts.
Die SGE konnte in dieser Phase aber in der letzten Reihe fast alles verteidigen und hatte mit Trapp in mehreren Szenen auch einen sehr starken Torwart, der sehr konzentriert einige Szenen entschärfen konnte.
in dieser Phase spielte es eine wichtige Rolle, dass die SGE viele 1 gg. 1 – Duelle gewann und sich zu jedem Zeitpunkt in diesen Duellen behaupten konnte, insbesondere Smolcic spielte hier eine wichtige Rolle, der die zentralen Passversuche in oder vor die Kette mit teils sehr starkem Zweikampfverhalten entschärfte und Kopfbälle zuverlässig gewann. Das ist hinsichtlich des 1 gg. 1 – Verhaltens schon ein großer Unterschied zu den sonst dort agierenden gelernten Mittelfeldspielern Jakic oder Hasebe. Smolcic blieb in diesen Szenen praktisch fehlerlos, womit eine der Hauptfehlerquellen des SGE-Kettenspiels – im Grunde seit dem Hütter-Antritt – trockengelegt war. Vielleicht ein Schlüssel zum Erfolg.
Mit dem Lindström-Rode-Wechsel, der sehr nachvollziehbar war, beruhigte sich das Ballbesitz-Spiel der SGE. Statt dem Risikospieler Lindström (Passquote 56%), der zuvor fast jede seiner Szenen mit Tempodribbling nach vorne zu lösen versucht hatte, kam mit Rode (Passquote 95%) ein ganz anderes Element ins Spiel: Ballsicherheit und -kontrolle. Dazu kam, dass das enorm hohe Spieltempo der Franzosen nicht durchzuhalten war, ihre Aktionen unsauberer und hektischer wurden.
Mit Götze, Rode, Kamada, Sow und später auch Borré gelang es der SGE nun, wieder längere Ballsequenzen und ganze -phasen zu generieren, sodass der Druck der Franzosen langsam nachließ und dann die OM-Angriffe auch besser zu verteidigen waren.
Wie wichtig die Präsenz von Rode war, zum Nachschauen eine Szene aus der 76. Minute, in der er direkt hintereinander zwei heikle Szenen mit Ballbehauptung und Rückpass in den eigenen Aufbau löst und damit das Spiel beruhigt, hier: eintracht.tv ab 32:50. Rode bemühte sich auch, das ist im Re-Live in mehreren Szenen zu zeigen, die Anspielstationen zwischen Kette und Mittelfeld zuzustellen, bzw. zu laufen. Mehrmals sieht man, wie er per Schulterblick diese Räume scannt und sich zu den Gegenspielern bewegt, die diese Räume anlaufen. Wer das mal beobachten will, dem sei z.B. die 79. Minute empfohlen (eintracht.tv ab 36:14), hier Rode mehrmals mit Schulterblick, um sich einen Überblich zu verschaffen, was hinter ihm los ist und Anlaufen des freien Gegners. Direkt danach in der gleichen Sequenz übrigens eine der starken Zweikampfbewegungen von Smolcic.
Fazit
Entscheidend für den Erfolg waren, wie gezeigt, das überragende Schnellkombinationsspiel der SGE, das mit den individuell starken Offensivspielern auch von OM nicht zu verteidigen war.
In der Druckphase der Franzosen nahm die SGE die Verteidigungsphase an, ohne nervös zu werden oder Fehler zu produzieren. Entscheidend dafür war unter anderem, dass die IV-Zentrale mit Smolcic, also mit einem echten Innenverteidiger besetzt war, aber auch Ndicka war sehr stark, überhaupt arbeitete die Kette insgesamt gut, alle 5 Kettenspieler waren zweikampfstark. Das ist vielleicht die beste Defensivleistung einer Eintracht-Kette seit langem gewesen.
Ein Gamechanger war die Einwechslung von Rode, womit Glasner nun seine fünf ballsichersten Spieler in der Zentrale aufgeboten hatte, zudem gelang es Rode, gemeinsam mit Sow die Halbbahnen und die Räume zwischen den Ketten viel besser zu schließen, auch die Kette hielt jetzt engere Abstände. Auch Götze trug mit klar reduziertem Risiko in seinen Aktionen zur Spielberuhigung bei, sodass die SGE das Spiel ab der 70. Minute wieder ausgeglichen gestalten konnte und mit zunehmender Spieldauer sogar wieder die gefährlicheren Abschlüsse hatte, etwa von Borré in der 88. Minute (eintracht.tv ab 44:39).
Es gäbe noch manches zu sagen zu diesem sehr intensiven Spiel, insbesondere zu dem verbesserten Kettenspiel, aber auch zu einigen Details im Spiel von Marseille, aber das würde hier den Rahmen sprengen.
Stattdessen bleibt festzuhalten, dass die SGE zuletzt in vielen Bereichen unübersehbar einen Schritt nach vorne gemacht hat. Sowohl im Kettenspiel, das offenbar nochmals bearbeitet wurde, aber auch von der Besetzung mit Smolcic profitierte, als auch im Schnellkombinationsspiel, das zwar ohnehin seit Glasners Übernahme in rasantem Tempo zu einem der besten der Bundesliga wurde und mit zunehmender Eingespieltheit (vor allem Götze/Kolo Muani/ Lindström) zuletzt von keinem Gegner mehr über längere Phasen verteidigt werden konnte.
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