Wie funktioniert das SGE-Pressing?

Als ein wichtiger Faktor des erfolgreichen Eintracht-Spiels wird häufig das Pressing, insbesondere das in der vorderen Linie genannt. Hier also ein Blick auf die Abläufe des Angriffspressings.

Mittelfeld- und Angriffspressing

Zunächst muss kurz unterschieden werden zwischen Mittelfeld- und Angriffspressing.

Beide Pressingarten sind übrigens noch nicht sehr lange flächendeckend üblich, noch vor zwei Jahrzehnten war korrekt und effektiv angewandtes Pressing hauptsächlich in Profiligen anzutreffen, inzwischen lernen das richtige Verhalten mindestens im Mittelfeldpressing im Grunde standardmäßig auch ambitionierte U17 – U19 – Teams.

Der Grundablauf beim Mittelfeldpressing: Entscheidend ist, dass eine Pressingzone im Mittelfeld gebaut wird, mit einer Kette hinten, die auf einer Höhe und damit auch auf Abseits spielt. Es wird ballorientiert (also nicht, oder nur sehr eingeschränkt mannorientiert) verschoben, sodass, egal an welcher Stelle der Gegner den Pressingraum betritt, sofort Doppel- (also Überzahlsituationen) entstehen. In „seiner“ Zone, dem eigenen Defensivdrittel, wird der Gegner nicht attackiert, dort kann er ungestört den Ball hin- und her spielen. Damit wird es dem Gegner sehr schwer, wenn es gut funktioniert nahezu unmöglich gemacht, über Pass- und Kombinationsspiel ins vordere Drittel zu gelangen. Der Gegner wird also in erster Linie zu langen Bällen gezwungen, die dann hinten recht gut zu verteidigen und zu gewinnen sind. Diese Pressingart wird heute in der Bundesliga standardmäßig, im Grunde von allen Mannschaften beherrscht und gespielt, auch oft von der SGE.

Bei der Eintracht „kippt“ dieses Mittelfeldpressing entweder situativ in ein Angriffspressing, oder es wird komplett Angriffspressing gespielt. Dieses wollen wir uns hier näher ansehen.

„Kippen“ des Mittelfeld- in Angriffspressing bzw. situatives Angriffspressing

Der Ablauf beim situativen Anpressen der Aufbau-Reihe des Gegners ist immer ähnlich:

Zunächst wartet die SGE in ihrer 2-3-Pressingformation im Mittelfeldpressing auf einen Initialpass des Gegners, worauf einer der drei Offensiven durch Anlaufen des Gegners das Angriffspressing auslöst. Hier im Bewegtbild:

Am Ende der Sequenz sehen wir, dass Götze den ballbesitzenden Hoffenheimer Verteidiger Vogt so anläuft, dass ein Rückpass auf den Passgeber schwierig wird. Lindström zieht auf seiner Seite nach und vervollständigt die Pressingfalle. (Videozitat. ZDF/Youtube, Bildrechte: DFL)

Es ergibt sich folgende Situation:

Götze verunmöglicht den Passweg zu Kabak, Kamada läuft Geiger an, verunmöglicht damit einen kontrollierten Anschluss ins Mittelfeld. Vogt passt zu Quaresma, der bläst den Aufbauversuch mit einem weiten Rückpass auf Torwart Baumann ab.

Das ist das zweite Initial. Nun hat die SGE zwei Möglichkeiten. Entweder zieht sie sich wieder ins Mittelfeldpressing zurück, oder sie nimmt den Rückpass von Quaresma als Auslöser für ein weiteres Angriffspressing, sie „kippt also vom Mittelfeld- ins Angriffspressing ins vordere Drittel.

Die Mannschaft entscheidet sich für Angriffspressing und Götze bleibt der Initialspieler:

In der letzten Einstellung hier sieht man, wie es weitergeht: Lindström läuft in höchstem Tempo den ballführenden Gegner an, um ihn direkt in den Zweikampf zu verwickeln. (Videozitat. Bildsequenz: ZDF/Youtube, Bildrechte: DFL)

Daraus entsteht dann die klassische Pressingfalle:

Lindström stellt den direkten Zweikampf her und lässt die Falle damit zuschnappen. Alle spielerischen Optionen, die Quaresma jetzt noch hat, sind hochriskant: Außer dem Rückpass zu Baumann ist nur noch ein Querpass vor dem eigenen Sechzehner Richtung Vogt möglich, der aber sofort von Kolo Muani angelaufen würde und der Passweg ist auch nicht sicher, da sowohl Lindström aber vor allem Götze nur einen Schritt entfernt stehen und die schmale Passbahn mit einem langen Bein schließen und einen etwaigen Pass abfangen könnten. Bleibt ein langer Flugball auf Kabak, hier hat aber Kolo Muani ebenfalls Zugriff und könnte den Pass attackieren. Beide Aufbau-Passoptionen sind also zu riskant.

Damit ist Hoffenheim hier gewissermaßen Schachmatt. Quaresma kann nur noch einen Rückpass auf Baumann spielen und dieser den Ball unkontrolliert schlagen, womit er ziemlich sicher auch bei der SGE landen würde.

Quaresma ist aber unsicher, weil Götze auch diesen Rückpass noch attackieren könnte und geht in seiner Verzweiflung in ein Dribbling gegen Lindström, wo er direkt den Ball verliert. Aus dieser Situation entsteht das 1:0 für die SGE. Allerdings war das auch ein krasser Fehler von Quaresma und man darf sich sicher sein, dass Glasner seine Mannschaft in der Spielvorbereitung darauf hingewiesen hat, das Quaresma ein sehr junger und unerfahrener Spieler ist, der ein gutes Pressing-Ziel darstellt.

Das Pressing besteht also aus drei Phasen:

  1. Initial von Götze (kann auch situativ jeder andere Offensivspieler sein) zuerst nach dem Kabak-Querpass auf Vogt an der Mittellinie und dann nochmal nach dem Rückpass von Quaresma auf Baumann.
  2. Press nachrücken und etwas nach hinten versetzt „zwischen“ den Gegenspielern stehen, sodass mit dem jeweiligen Pass der dann ballbesitzende Gegner attackiert und alle Passbahnen zugestellt werden können. Dieses Verhalten ist extrem ballorientiert. In dem letzten Bild sieht man bei Kamada sehr schön, dass er seine Spielposition an den pressenden Mitspielern orientiert.
  3. Mit dem Abspiel sofortiger Zugriff auf den angespielten Gegner und Offenlassen nur noch der TW-Rückpass-Option. Je länger der Ballbesitzer wartet, desto enger werden die Räume, da auch die übrigen SGE-Spieler nachrücken und hinter der Pressingabteilung nachpressen, bzw. „durchdecken“ bzw. „durchsichern“. Bis dem Gegner nur noch Harakiripässe bzw. -dribblings bleiben oder ein langer, unkontrollierter Schlag, der dann hinten leicht gewonnen werden kann.

Dritte Phase: Durchsichern

In einem zweiten Beispiel noch ein Blick auf die dritte Phase, das Nachrücken, Durchdecken/-sichern.

In der Vorrunde wurde unter anderem über das „durchdecken“ diskutiert, unter anderem die Frage gestellt, ob das bedeute, dass die Abwehrspieler ihren Gegenspielern „über den ganzen Platz folgen sollen“.

Diese Frage ist zunächst mit nein zu beantworten, denn das press-decken der SGE-Verteidiger bezieht sich nicht darauf, dass sie einem bestimmten Gegenspieler „folgen“ sollen, sondern darauf, dass sie Anspielstationen des Gegners, die sich im Rücken der Pressingabteilung anbieten, von hinten anlaufen und zustellen sollen. Hier ein Beispiel aus dem Spiel gegen Leverkusen:

Die SGE setzt das Pressing in der vordersten Linie an. Hier wieder der 2-3-Pressing-Aufbau der SGE. Götze läuft den rechten Aufbauspieler der Leverkusener an, dahinter werden wieder alle Gegenspieler in den Zwischenräumen frei gelassen. Mit dem folgenden Pass in die Mitte sprintet Lindström Richtung des neuen Ballbesitzers. Zu diesem Zeitpunkt steht Tuta noch in der Abwehrreihe gegen Schick (ganz links).

Nach dem Pass in die Zentrale, was das Anlauf-Initial für Lindström bedeutet, steht hinter der Pressingabteilung ein Leverkusener frei, namentlich Paulinho mit der Nr. 7. Paulinho bietet sich dann auf der flachen Halbbahn aktiv an. Tuta sieht das von hinten und muss nun diesen freien Gegner „durchdecken“, also bis weit ins Mittelfeld laufen, um auf den Spieler mit Ballannahme zugreifen zu können.

(Videozitat. Bildsequenz: ZDF/Youtube, Bildrechte: DFL)

Tuta läuft also nicht „seinem“ Gegenspieler bis ins Mittelfeld nach, sondern deckt auf der Sechs den nächsten freien Gegner. So wird beim Angriffspressing jeder anspielbare Gegenspieler nach und nach von hinten nach vorne angelaufen und gedeckt, daher der Begriff „durchdecken“ bzw. „durchsichern“. Etwa so:

Wo immer ein Gegner frei steht, wird dieser „von hinten“ angelaufen, es wird von hinten nach vorne durchgedeckt. So können alle Anspielpositionen angelaufen und abgedeckt werden. Das sind zwar riskante Manöver, denn niemand darf seinen Einsatz verpassen, dieses Vorgehen hat aber den Vorteil, dass sich alle am Pressing Beteiligten immer nach vorne orientieren können ohne allzu sehr darauf achten zu müssen, ob sich in ihrem Rücken ein Gegner freiläuft.

Man sieht also, dass das SGE-Pressing mit den drei wichtigsten Phasen bestimmten, einstudierten Ablaufplänen folgt, sehr voraussetzungsreich ist und von den Spielern hohe Aufmerksamkeit verlangt. Wenn das aber konsequent durchgeführt wird, ist es überaus effektiv.

Oftmals wird auch direkt vorne beim gegnerischen Abstoß u.ä. angepresst, die Abläufe sind dann aber ähnlich.

Statistisches zum SGE-Pressing

Auch einige statistische Werte sprechen für das intensive und effektive Balleroberungsspiel der SGE. So steht die Mannschaft mit 941 zurückgewonnen Bällen weit vor den Bayern (899) auf Platz 1 der Liga, ein starkes Indiz für eine sehr aggressive Defensive, die immer versucht, die Räume ballorientiert so eng zu machen, dass auch verlorene Bälle schnell wieder zurückgewonnen werden können. Die meisten erfolgreichen Tackles des Teams, also Körperzweikämpfe die direkt zu eigenem Ballbesitz geführt haben, erzielte in der Vorrunde Kamada (16) vor Tuta, Jakic und Ebimbe (je 14), die meisten Ballrückeroberungen erzielte Tuta (110) vor Ndicka (96), Sow (92), Jakic (89) und Götze (88).

Wie offensiv und auf das vordere Spielfelddrittel das SGE-Spiel ausgerichtet ist, zeigt auch eine weitere Statistik: Bei Ballkontakten im gegnerischen Strafraum belegt die Eintracht (382) Platz 2 hinter den Bayern (539), auch bei den Kontakten im vorderen Spielfelddrittel befindet sich die SGE im oberen Drittel der Bundesliga. Auch bei den Attacken im Mittleren/ bzw. vorderen Angriffsdrittel gehört das SGE-Pressing zu den stärksten der Bundesliga. Nur Köln (142 defensive Ballangriffe), Werder (147), Bayern (159) und Dortmund (168) sind in den beiden vorderen Dritteln aggressiver als die SGE (135). Die statistischen Daten entstammen der Seite fbref.com, dort gibt es auch noch mehr davon.

Zusammen mit den schnellen und sehr effektiv ausgespieltem Anschlüssen der technisch starken Offensivspieler gehört das enorm präzise und dauerhaft praktizierte Mittelfeld- und Angriffspressing zu den großen Stärken der SGE.

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