Die SGE wurde von vielen Beobachtern sehr negativ gesehen. Die üblichen Schwächen wurden erwartungsgemäß von den Italienern ausgenutzt, dazu ist in K.O.-Spielen gegen solch starke Gegner die Unfähigkeit zu Systemumstellungen ein Problem. Die Analyse.
Die Aufstellung
SGE: Trapp (2) – Tuta (4), Jakic (3-), Ndicka (3) – Buta (4), Kamada (3), Sow (3), Max (3-) – Lindström (3-), Kolo Muani (4), Götze (3-)
eingew.: 69. Knauff (3), Borré (3-); 81. Alidou (3); 92. Lenz (-)
(die Noten in Klammern beruhen weitgehend auf den von sofascore.com berechneten Daten)
SSC: Meret – Di Lorenzo, Rrahmani, Kim, Olivera – Anguissa (80. Ndombele), Lobotka, Zielinski – Lozano (80. Elmas), Osimhem (84. Simeone), Kvaratskhelia (84. Politano)
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Die Spielanalyse
Die sicher wichtigste analytische Frage nach dem Spiel ist die nach den Chancen der SGE im Rückspiel und die Antwort darauf findet sich hauptsächlich in den ersten 20 bis 25 Minuten des Spiels, da die Eintracht es hier durchaus schaffte, den Gegner vor Probleme zu stellen.
Zunächst aber war von Beginn an zu sehen, dass die Mannschaft aus Neapel taktisch ein ganzes Stück weiter ist als die SGE, dauerhaft Angriffspressing spielte und viel über den eigenen, sehr ambitionierte Aufbau, während die Eintracht fast ausschließlich auf Mittelfeldpressing setzte und so von Beginn an in eine sehr defensive Position geriet (Im Gesamtspiel nur 31% Ballbesitz) Warum, dazu mehr im Fazit.
Den ersten interessanten Abschluss hatte die SGE indes bereits in der 5. Minute, als sich Lindström rechts im 1 gg. 1 gegen Oliveira durchsetzen konnte, ebenso wie dann in der Box Kolo Muani gegen Rrahmani. Entstanden war die Situation nach einem langen Ball von Trapp ins Mittelfeld und einem schwachen Kopfball der Italiener auf Kamada, also ein zweiter Ball, der bei der SGE landet.

Der Angriff scheitert letztlich hauptsächlich an der schwachen Boxbesetzung der SGE, trotzdem kommt Kolo Muani letztlich noch zum Abschluss. Hier konnte Neapel durchaus froh sein, dass die Eintracht das im Sechzehner nicht besser besetzt hat, sonst wäre hier das 1:0 durchaus möglich gewesen. (der ganze Angriff bei eintracht.tv ab 14:03).
Eine erste Möglichkeit für das Rückspiel, vielleicht die Wichtigste wird hier aber sichtbar: Gezielte Bälle aus dem eigenen (tiefen) Aufbau hinter die beiden 3er-Linien der Italiener und diese (zweiten) Bälle intensiv attackieren, um die hintere Kette zu isolieren oder – noch besser – flache, gezielte Anspiele in diese Zone.
Ebenfalls durchaus effektiv, aber von der SGE im gesamten Spiel viel zu selten angewendet, war das Abkippen ins Angriffspressing nach dem ersten Aufbauball der Italiener. Warum das nur selten durchgeführt werden konnte, dazu ebenfalls mehr im Fazit.

Überhaupt stellte die SGE in der Anfangsphase mit der 5-2-3-Mittelfeldpressingformation fast alle Passwege nach vorne zu, sodass Neapel kaum zu offensiven Aktionen kam und viele Angriffe abgefangen werden konnten. In der 10. Minute hat Götze nach einem Freistoß von links einen weiteren Abschluss aus der zweiten Reihe, nachdem Neapel Lindström links nur mit Foul stoppen konnte. Die ersten zehn Minuten gingen an die SGE, das sah bis dahin sehr gut aus.
Auch in den zweiten 10 Minuten ändert sich wenig, die SGE versuchte so oft wie möglich vorne ins Gegenpressing zu kommen, bleibt sonst bei der Marschroute Mittelfeldpressing und kommt bspw. in der 16. Minute nach einem langen Trapp-Flugball erneut an den beiden Pressing-Reihen der Italiener vorbei und nach einem zwischenzeitlichen Ballverlust in zwei Offensivaktionen hintereinander (eintracht.tv ab 24:55), die schließlich mit einer (nicht ungefährlichen) Buta-Flanke abgeschlossen wird. Es kommt nach einer unnötig von Buta herbeigeführten Ecke zu einer Ecken-Serie der Italiener, bei der sie erstmals gefährlich werden, aber Trapp kann zweimal stark halten, die Situationen werden geklärt.
Bis zur 25. Minute haben die hoch gehandelten Gäste bis auf einen Konter und zwei Ecken kaum wirksame Aktionen nach vorne, die SGE hat die Sache bis dahin recht gut im Griff. In der 25. Minute hat sie auch nach einem längeren Positionsspiel über die linke Seite eine weitere interessante Szene Richtung Tor (eintracht.tv ab 33:23).

Den ersten größeren (leider systemischen, dazu im Fazit mehr) Fehler der SGE nutzen die Gäste direkt zu ihrer ersten großen Chance, aus der dann auch der Elfmeter hervorgeht.
Die Situation entspringt einem Aufbau-Positionsspiel der SSC, die SGE schiebt im Mittelfeldpressing. Hier der entscheidende Moment der Szene, aus der zunächst ein Pfostenschuss für Neapel und schließlich der Elfmeter entspringt:

Das Foul von Buta ist dann sehr unglücklich, kein absichtliches Foul, Trapp hält dann aber den Elfmeter mit einer extrem starken Parade. Es wäre sehr interessant, von Trapp zu erfahren, ob er die Ecke aus Beobachtungen früherer Elfmeter von Kvaratskhelia kannte. Genau so sah es nämlich aus und anders ist die Bewegung von Trapp kaum zu erklären.
Diese Aktion ist zwar für die SGE glimpflich ausgegangen, brachte Neapel aber zu seiner besten Phase bis dahin, sie spielten in den Minuten danach wieder sehr aggressives Pressing und zwangen die SGE zu Fehlern. Die Spielentscheidung im Detail hier im Clip:
Der Konter ist dann für Jakic und Tuta kaum noch zu verteidigen.
Nach dem 0:1 wird die SGE sehr unsicher, den Anstoß nach dem Tor nutzen die Italiener nach einem Aufbau-Fehlpass von Ndicka direkt zum vermeintlichen 2:0, das aber wegen Abseits korrekt zurückgepfiffen wurde.
Danach fing sich die SGE allerdings bis zur Pause wieder, hatte auch noch eine stärkere Sequenz, bei der sie technisch stark und sauber das jetzt sehr aggressive SSC-Pressing überwand und bei der eine Ecke heraussprang in der 44. Minute (eintracht.tv ab 52:52).
Die erste Halbzeit der SGE war vollkommen in Ordnung, von der Mannschaft war nicht mehr und nicht weniger zu erwarten. Neapel konnte die SGE zweimal auskontern und einmal ausspielen.
Bis zu der Roten Karte gegen Kolo Muani ändert sich an dem Bild nicht allzu viel, allerdings versucht Neapel das Spiel jetzt früher und schneller in den vorderen Bereich zu verlagern, tiefe Aufbaubälle werden nun schneller und mit mehr Risiko gesucht. Das führt zu erhöhtem Druck auf die letzte Reihe der SGE, und ohne alle Szenen im Detail zu besprechen: Das erhöhte Pressingaufkommen zeigte durchaus Wirkung, zeitigte einen 16-Meter-Schuss von Lozano frontal auf Trapp in der 55. Minute, in der 56. Minute müssen die Gäste nach einem krassen Jakic-Fehlpass im Grunde das 0:2 erzielen, aber Trapp hält die SGE mit einer Weltklasseaktion noch einmal im Spiel (eintracht.tv ab 11:47).
Trotzdem blieb die SGE auch in der zweiten Hälfte durchaus im Spiel, konnte die meisten Angriffsversuche der Italiener mit der breiten 5er-Kette verteidigen und versuchte immer wieder, eigene Angriffe zu starten. Zumindest bis zur 57. Minute, als nicht der Gegner, sondern der Schiedsrichter mit der Roten Karte gegen Kolo Muani das Spiel entschied, denn dass die SGE in Unterzahl gegen die bereits zuvor besseren Italiener kaum mehr eine Chance haben würde, war klar. Die Rote Karte ist natürlich viel zu hart, Kolo Muani muss zum Ball gehen können ohne Angst zu haben vom Platz zu fliegen, wenn er dabei den Gegner trifft, insbesondere da er noch den Ball gespielt hatte.
Beim 0:2 schafften es die Italiener erst in der 65. Minute zum zweiten Mal im Spiel, die Eintracht über eigenen Ballbesitz und Kombinationsspiel nachhaltig auszuspielen. Die Situation ist ziemlich komplex und sicher eine der interessantesten im Spiel. Der SGE unterläuft zunächst ein mannschaftstaktischer Fehler:

Warum auch immer das Team hier nicht mehr nachschiebt, es erhöht sich so das Risiko, dass Neapel eine Schnellkombination mit Ausgang Torabschluss organisieren kann.

Hier passiert aber Kamada der entscheidende Fehler: Er erkennt erst als es längst zu spät ist, dass Kvaratskhelia hier einen gezielten Positionswechsel durchführt und den Angriff direkt Richtung Zentrale fortsetzen will und gerät so auf die Außenbahn. Hier:

Durch Kvaratskhelias anschließendes Tempodribbling ist die SGE-Kette isoliert und sofort bricht das übliche Chaos aus:

Der Angriff der Italiener war eine Mischung aus bewusst gestellter Situation (Passviereck mit Ausgang Richtung Zentrale) und Improvisation (Spiel über die Zentrale über den einlaufenden Kvaratskhelia nachdem Kamada ihn laufen lässt, Angriffsfortsetzung mit diagonalem Anschluss). Das ist sehr stark gespielt und durchaus beeindruckend, nur ist der Spielzug auch bedingt durch die Stellungsfehler in der letzten Eintracht-Reihe.
Das Fazit
Damit ist das Spiel entschieden, für die SGE konnte es danach nur noch darum gehen, das Ergebnis nicht noch höher werden zu lassen, um zumindest noch eine Minimalchance im Rückspiel zu haben. Das gelang mit etwas Glück.
Alles in allem war das Ergebnis auch verdient, Neapel war in zu vielen Belangen das deutlich bessere, variablere Team, ihr Aufbauspiel konnte von der SGE nur sehr selten effektiv angepresst werden, ein eigenes konnte sie gegen das Napoli-Pressing praktisch nie organisieren. Insbesondere die dauernde, systematische Unterzahl im Mittelfeldbereich war ein echtes Problem. Hier zur Veranschaulichung eine Szene aus der 47. Minute:

Mit dieser Strategie haben die Italiener es der Eintracht extrem schwer gemacht, sie im Aufbau anzupressen, dazu kommt die extreme Passhärte und -genauigkeit in ihren Pässen (was entscheidender ist als die reine Positionierung). Nur dadurch können sie das Spiel so weiträumig und dominant aufbauen. Die SGE hielt – so lange die Kräfte reichten – zunehmend nur noch dadurch dagegen, dass sie die hintere Aufbaureihe der Italiener möglichst weit hinten hielt. Sobald auch das nicht gehalten werden konnte und Neapel sein Kombinationsspiel weiter vorne ansetzen konnte, wurde es gefährlich.
In der Szene oben wird nicht von den 6ern nach vorne gepresst, also auch nicht von hinten durchgesichert, wie es der Pressingablauf der SGE eigentlich vorsieht. Aus gutem Grund: Diese Durchsicher-Aktionen aus der letzten Reihe öffnen in der letzten Reihe Räume, wie etwa bei der Entstehung des Elfers. Zur Erinnerung:

So waren der SGE taktisch die Hände gebunden. Wenn sie anpressen wollte, ging das nur aus einer ohnehin schon strukturellen Unterzahlsituation im Mittelfeld, also nur mit Durchsichern aus der letzten Reihe, wodurch sich aber bespielbare Räume direkt zum Tor für die Italiener mit ihren messerscharfen Pässen und guten Angriffsmanövern aus dem Aufbau öffneten. Presste die SGE hingegen nicht an, wurde sie von dem Aufbauspiel der Italiener so lange zum Quer-Laufen gezwungen, bis entweder in den engen Kombinationsräumen rechts defensiv ein Fehler provoziert wurde (wie vor dem 0:2) oder die Italiener mit (diagonalen) Flugbällen (meist nach rechts) sich etwas Angriffsraum verschaffen konnten. (Es gab noch einige andere wiederkehrende Angriffsmuster, das würde hier aber den Rahmen sprengen.)
Dazu kam, dass Neapel selbst die Aufbauversuche der SGE (die deutlich weniger gut organisiert und ausgeführt wurden) sehr konsequent anpresste, was regelmäßig zu Ballgewinnen und guten Abschlüssen führte.
Für das Rückspiel wird sich Glasner überlegen müssen, ob er die Mannschaft wieder mit einer derartigen Dauerunterzahl im Mittelfeld antreten lassen will, die ihr im Grunde von vornherein alle Möglichkeiten nimmt, Neapel dauerhaft und länger als 20 Minuten unter Druck zu setzen und die die beiden 6er vor unlösbare Probleme stellte bzw. Fehler provozierte. Alle bekannten Probleme der SGE schlugen gegen einen derart starken, fehlerarmen und gut organisierten Gegner zu Buche: Dass mit Kamada und Jakic zwei positionsfremde (und dadurch fehleranfälligere) Spieler auf zentralen Positionen spielen, dass die Mannschaft derart einseitig auf 5er-Kette getrimmt und nicht in der Lage ist, ohne weiteres auf Viererkette umzustellen und daher kaum taktische Umstellungen möglich sind, ebenso dass die letzte Reihe isoliert nicht sehr zuverlässig ist. All das ist gegen einen Gegner wie Neapel natürlich ein (allerdings absehbares) Problem geworden. Es ist nach den Eindrücken des Spiels kaum vorstellbar, wie das mit dem 2er-Mittelfeld der SGE gegen das 4-3-3 der Italiener (das in vielen Hinsichten mehr Möglichkeiten bietet) im Rückspiel besser funktionieren könnte. Trotz allem war die SGE bei weitem nicht so weit entfernt von Neapel, wie es mancher Beobachter hinterher darstellte. Wer etwa eine völlig chancenlose SGE oder einen Klassenunterschied gesehen haben will, dürfte die ersten 20 Minuten noch im Stau vor dem Stadion gestanden haben. In dieser Phase waren durchaus auch Anknüpfungspunkte für das Rückspiel zu sehen, wie oben in der Analyse gezeigt.
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