Die wichtigsten Szenen des Spiels in der Analyse und etwas Ausführlicher die aktuelle Situation im Fazit.
Die Aufstellung:
SGE: Trapp (3) – Tuta (4), Hasebe (3-), Smolcic (3) – Knauff (3), Rode (3), Sow (3), Max (4) – Lindström (3), Kolo Muani (4), Kamada (3-)
eingew.: 60. Buta (3), Lenz (3), Jakic (3); 80. Borré (3-), 88. Alario
(die Noten in Klammern beruhen weitgehend auf den von sofascore.com berechneten Daten)
LEI: Blaswich – Henrichs (90. Simakan), Orban, Gvardiol, Halstenberg – Laimer, Kampl (69. Schlager) – Szoboszlai, Forsberg (69. Haidara) – Poulsen (59. Nkunku), Werner (69. Silva)
Die Statistik
Die Highlights
Die Spielanalyse
Zunächst die drei Tore im Detail, dann im Fazit einige Anmerkungen zum Spielverlauf und den zuletzt wiederholt auftauchenden Problemen.
Das erste Gegentor fällt äußerst unglücklich. In der Sequenz, die dem Tor vorausgeht, macht die SGE eigentlich vieles richtig, presst die Leipziger früh und aggressiv an, verhindert damit kontrollierten Aufbau.

Schließlich können sich die Leipziger mit einem schwachen, hohen Aufbauball „befreien“, es kommt zu mehreren Kopfbällen, der Ballbesitz wechselt ständig, keine Mannschaft kann die Situation kontrollieren. Man möge sich, bevor man erzählt, die SGE habe hier „geschlafen“ oder ähnliches, die Sequenz noch einmal anschauen (eintracht.tv ab 10:05).
Entscheidenden Anteil haben schließlich Hasebe mit einem schwachen Kopfball und allen voran Tuta, der den Ball mit einem Stockfehler verliert. Hier aber ein Blick auf ein Phänomen, das wir zuletzt auch im Spiel gegen Neapel schon beobachtet haben: Das sehr weite Aufrücken/Durchsichern, das das Glasner-Pressing notwendig macht (zumindest wenn man mit 3-2-Konstellation in der Zentrale spielt, statt wie beim Spiel mit Viererkette (2-3-Konstellation), ist vor allem gegen hoch stehende, starke Gegner mit starkem Gegenpressing äußerst riskant:

Klar ist das alles nicht der entscheidende Moment und man kann hier noch über einiges anderes diskutieren, z.B. ob es sinnvoll ist, Hasebe und Tuta, die beide keine Sprinter sind, in solchen Situationen in der letzten Reihe 2 gg. 3 stehen zu lassen, also ob hier ein Stellungsfehler von Knauff vorliegt. Dass der stärkste Kopfballspieler der SGE fast bis in die vordere Linie nachschieben muss, um die Pressingabteilung zu unterstützen und dann hinten beim Kopfballspiel fehlt, ist jedenfalls sicher nicht optimal, und genauso wenig, dass der fast 40jährige Hasebe gegen Werner die einzige Absicherung in so einer Situation ist.
Beim zweiten Tor ist es noch deutlicher:

Nun verlieren Smolcic und Kamada das 2 gg. 2 gegen Forsberg/ Szoboszlai bzw. können darin den Ball nicht gewinnen, Rode sichert nicht die Halbposition, sondern rennt auch noch in das (schon verlorene) 2 gg. 2, womit das Mittelfeld der SGE ausgespielt ist, dann die hintere Reihe der SGE völlig isoliert steht und das geht bekanntlich selten gut:

Damit ist auch die SGE-Kette ausgespielt. In dieser Situation hier beim Pass von Szoboszlai in die Spitze muss die Kette entweder
a) auf Abseits spielen und Werner ins Abseits stellen. Das hebt Hasebe oben aber auf; oder
b) schnell bis 16- 20 m zum eigenen Tor zurückweichen und somit den freien tiefen Raum zum Anlaufen schließen und den Angriff verzögern; oder
c) mit korrekten Abständen hinten arbeiten, dafür müsste Knauff weiter innen stehen und in offener Stellung zum Ansprinten sein. Der Werner-Laufweg von außen nach innen hier ist ein Standardweg und eine von Werners Spezailitäten, das dürfte bekannt sein.
Nichts davon macht die SGE. Sie bleibt stattdessen mit offener Innenbahn viel zu weit draußen stehen – so weit vom eigenen Tor ohne nennenswerte Zurückweichbewegung, dass ein riesiger, anspielbarer und ansprintbarer Raum hinter ihnen entsteht.
Den Pass auf Werner kann die SGE so nicht verhindern und Hasebe steht am Ende 1 gg. 3 und kann auch das Tor nicht mehr verhindern.
Leipzig spielt die SGE hier zwar auch mit gutem Anlaufverhalten und Timing, einem guten Doppelpass im Mittelfeldbereich und einem guten Tempodribbling von Szoboszlai aus, aber die SGE ist in der Situation auch offen wie ein Scheunentor. Außerdem:

Noch zum Tor der SGE in der 61. Minute:
Die SGE spielt das Tor über Kombinationsspiel heraus. Es geht wieder einmal schnell quer-tief-…, also ein typischer, stark gestellter SGE-Angriff (siehe ganzer Clip, ca. 1:40 Min.):
Damit sind die Leipziger auf außen ausgespielt. Sie haben zwar hinten immer noch Gleichzahl, die Box-Besetzung bzw. das Nachrückverhalten der SGE ist dann bei dem Rückpass von Buta aber so stark, dass es kaum noch zu verteidigen ist. Sow ist völlig blank und schießt ein.
Das Fazit
Das Spiel gegen Leipzig erhärtet mehrere in den letzten Spielen zu beobachtende Erkenntnisse:
- Das Spiel mit 5er-Kette und Durchsichern ist riskant, besonders wenn die letzte Reihe Fehler beim Nachschieben usw. macht und die Räume, die sich dadurch im hinteren Bereich öffnen, werden zunehmend von Gegnern genutzt. Das ist anspruchsvoll und nur von technisch starken Teams auszuführen. Gegen Leipzig war, wie gezeigt, zweimal das weite Aufrücken von Smolcic problematisch, nachdem das Pressing samt Smolcic überspielt war. Dem Spieler kann man wenig Vorwurf machen, er hält sich da wohl an den Plan. Die Frage ist, ob das gegen technisch starke und ballsichere Teams wie Leipzig, Neapel u.ä. wirklich noch ein guter Plan ist. Allerdings stellt sich diese Frage schon länger und in vielen Spielen hat es ja auch gut funktioniert. Im Moment lässt sich aber beobachten, dass gleichstarke/stärkere Gegner das als Einfallstor nutzen, was bedenklich ist.
- Die Eintracht hat in der Offensive einige funktionierende Angriffsmuster, legt sich aber zu sehr auf das Mittelfeld-Konter-Spiel fest und vertraut zu selten dem eigenen Positionsspiel/Aufbauspiel/Ballbesitz. Das Pressing/Konterspiel aus dem Mittelfeldpressing mit Abkippen ins Angriffspressing wird von den Gegnern aber inzwischen wo immer möglich verhindert. Von den 56 Pässen des Leipziger Keepers Blaswich waren nur 14 Kurzpässe bis 14 m, alles andere waren mittellange oder lange Bälle und man konnte das im Spiel auch sehr gut beobachten: Die Leipziger überspielten die Pressinglinie der SGE immer wieder mit langen Bällen, sobald sie ihr zu Nahe kam. Erst als die SGE in der zweiten Halbzeit auf echtes Angriffspressing umschaltete, also nicht mehr versuchte, aus dem Mittelfeldpressing ins Angriffspressing zu „kippen“, sondern die Leipziger mit dem ersten Ballkontakt in vorderster Front presste, konnte sie Bälle gewinnen, Druck aufbauen, ihren Ballbesitzanteil (von 46 auf 47 Prozent) leicht steigern und wurde deutlich gefährlicher (von XGoals 1.14 : 0.15 in der ersten HZ auf 0.58 : 0.69 in der zweiten Hälfte, dort war die SGE also nach XG sogar die gefährlichere Mannschaft). Das reine Spiel auf Konter aus dem Mittelfeldpressing ist zu wenig, um nachhaltig gegen die Top-6 der Bundesliga gewinnen zu können und es ist bezeichnend, dass das einzige SGE-Tor nach einem Positionsangriff mit Seitenwechsel gefallen ist, der bereits im Aufbau Tiefe hatte, also kein Konter war, sondern ein gezieltes Ballbesitz-Manöver. Siehe oben.
- Die letzte Reihe der SGE ist nach wie vor viel zu fehleranfällig. Was hier schon lange thematisiert wurde, zeigt sich in den letzten Wochen wieder zunehmend: Die ohnehin nicht sehr sattelfeste Hintermannschaft mit positionsfremden Spielern wie diesmal Knauff und Hasebe tut sich mit der Aufgabe, sowohl dauernd ins Mittelfeld durchsichern und aufrücken zu müssen und andererseits isoliert die dennoch entstehenden Durchbrüche der Gegner verteidigen zu müssen, sehr schwer. Die Gegentorflut rollt in den letzten Spielen bereits wieder bedrohlich heran und auch im zweiten Glasner-Jahr zeichnet sich ab, dass ein entscheidender Entwicklungsschritt des Teams (auch ergebnisseitig) in der letzten Reihe nach wie vor noch aussteht. Daran wird weder taktisch noch personell ein Weg vorbeiführen.
- Die totale taktische Fixierung auf 3er/5er-Kette und Doppelsechs wird, wie schon gegen Neapel und wie hier seit langem thematisiert, insbesondere gegen technisch-spielerisch gleichwertige oder überlegene Gegner zum Problem. Systemumstellungen finden bei Glasner praktisch nicht statt. Die durchaus sinnvollen Versuche mit der Viererkette zu Beginn beider Glasner-Spielzeiten wurden viel zu schnell wieder aufgegeben und offenbar nicht daran weitergearbeitet. So wissen die Gegner nun auch, dass sie mit einem Dreiermittelfeld immerzu Überzahl in der Zentrale haben, außerdem alle Sechser-Kandidaten im Glasner-System auch sehr oft bis in die vordere Reihe ins Pressing mitschieben (müssen) und die Verteidiger nachrücken müssen. Das ist von vielen inzwischen ausgelesen und wird als Einfallstor genutzt. Und zwar im Wissen, dass die SGE taktisch darauf nur reagieren kann, indem sie ihr starkes Angriffspressing komplett abschaltet und vorsichtiger agiert. Selbst gegen Leipzig, wo auch ein Laie ohne Probleme erkennen konnte, dass dieses Angriffspressing ein wichtiges Element ist, um Druck auszuüben, auf Ballbesitzzeiten zu kommen, das Spiel vom eigenen Tor fern zu halten und evtl. zweites SGE-Tor ermöglichen würde, stellte Glasner erst in der 88. Minute auf 4-3-3 bzw. 4-2-4 um, zu spät, um noch etwas bewirken zu können. Völlig alternativlos nur ein einziges System spielen zu können, ist, um es vorsichtig zu sagen, riskant und umso riskanter, je höher Niveau und Ansprüche werden.
Um das noch einmal klarzumachen:
Die SGE kassierte in der vergangenen Bundesliga-Saison 1,44 Gegentore pro Spiel. Die Top 4 der Bundesliga im Durchschnitt 1,27. Das ist im internationalen Vergleich übrigens noch sehr viel. Die Top-4 in England kamen 2021/22 auf 0,82 Gegentore, die italienischen CL-Qualifikanten auf 0,86, die spanischen auf 0,93 und die französischen Konkurrenten auf 1,01 (hier auch die Top 4 als Maßstab, obwohl die Ligue-1 momentan nur 2 CL-Plätze hat). Eine Quote von 1,44 Gegentoren ist international nicht konkurrenzfähig und in der laufenden Saison ist die SGE mit aktuell 1,41 Gegentoren pro Spiel kaum besser. Einen besonders triftigen Grund, keinerlei Alternative zu dem sehr wackligen 5-2-3 / 3-4-3 zu erarbeiten, geben diese Daten jedenfalls nicht her.
Das Erstellen der analytischen Beiträge ist ziemlich zeitaufwendig. Ich freue mich über jede Spende (PayPal), auch Kleinbeträge sind hilfreich. (Über den Link kann auch per Kreditkarte gespendet werden). Wer die PayPal-Gebühren umgehen möchte, kann gerne eine PN an abdom@gmx.de senden, um die Kontodaten für eine Überweisung zu erfragen.
Vielen Dank allen Spenderinnen und Spendern.
In eigener Sache: Wer sgefussballanalyse folgen oder über neue Artikel informiert werden möchte, kann das bei Twitter, Facebook, Telegram oder einfach hier unten auf dieser Seite bei WordPress via Abonnieren-Button tun.