Union Berlin – SGE 2:0 (0:0)

Nach dem Spiel sorgten vor allem Glasners Aussagen zu seiner Defensivabteilung für Aufsehen, das mangelhafte Abwehrverhalten sei demnach vor allem ein Qualitätsproblem. Was davon zu halten ist, wie immer hier in der Analyse.

Die Aufstellung

SGE: Trapp (4) – Tuta (3), Smolcic (4+), Ndicka (4) – Buta (3), Kamada (5), Sow (3), Lenz (2) – Borré (3), Kolo Muani (1-), Götze (3)

eingew.: 67. Alario (3) Borré, 73. Max (4) für Lenz, 82. Alidou für Kamada, 82. Aaronson für Götze

Die Noten in Klammern richten sich nach den Bewertungen von sofascore, die durch statistische Daten generiert werden.

FCU: Rönnow – Doekhi, Knoche, Baumgartl (86. Leite) – Juranovic, Seguin, Khedira, Haberer (86. Pantovic), Giesselmann (76. Roussillon) – Becker (76. Behrens), Jordan (67. Behrens)

Die Statistik

gibt es hier, hier und hier

Die Highlights

Quelle: Youtube

Die Spielanalyse

Zunächst zur Offensive. Besonders in der ersten Hälfte war die SGE vorne durchaus gefährlich, hätte in mehreren Situationen in Führung gehen können. Hier im Angriffsmomentum ist gut abzulesen, wie stark die erste Hälfte der SGE war und wie nah sie an der Führung waren (die Ausschläge zeigen jeweils die Druckphasen der beiden Teams, je höher der Balken, desto druckvoller und gefährlicher):

Das XGoals-Verhältnis der ersten Halbzeit betrug 0,27 : 1,67 bei 69 Prozent Ballbesitz zugunsten der SGE, die Eintracht war dominant und gefährlich, wenn auch etwas unglücklich im Abschluss (in der zweiten Hälfte änderten sich fast alle Werte zugunsten der Berliner). Die größte Chance in der ersten Halbzeit vergab Kamada in der 34. Minute, als er nach einem abgefälschten Tuta-Schuss aus der zweiten Reihe völlig frei aus 5 Metern den Ball nicht an Rönnow vorbei brachte. In dieser Szene, wie auch in vielen anderen zeigte sich aber auch, wie schwierig es ist, den häufig sehr tief und mit großer personeller Quantität verteidigenden Defensivblock der Unioner zu überspielen:

Die Situation beim Tuta-Schuss, der dann zur größten SGE-Chance der ersten Hälfte führte. Die Unioner sind mit allen 11 Spielern im eigenen Drittel versammelt, in der relevanten Zone Richtung eigenes Tor verteidigen sie hier mit 5er-Kette plus drei, in der Zentrale stehen sie 5 gg. 2, überall auf dem Platz können sie durch schnelles Schieben (kurze Abstände) Überzahl herstellen.

Dieser defensive Block ist natürlich schwer zu überspielen, hier ist es auch eher ein glückliches Abfälschen des Schusses, das Kamada den Abschluss beschert, aber der SGE gelang es, den Druck so hoch zu halten, auch durch solche Aktionen.

Aber die SGE spielte auch einige tolle Chancen über eigenes Aufbau- bzw. Kombinationsspiel heraus, etwa den Kolo Muani-Kopfball in der 38. Minute (eintracht.tv ab 44:29) nach einem starken Tuta- Flugball auf Borré, der auf Buta ablegt und dessen starke Flanke köpft Kolo Muani dann nur knapp über das Tor. Trainer Glasner hatte durchaus recht, wenn er nach dem Spiel darauf hinwies, dass seine Mannschaft in jeder Hinsicht, die irgendetwas mit konstruktivem Fußball zu tun hat, klar besser und auch überhaupt ambitioniert war. Wir könnten hier mindestens 5 Szenen zeigen, in denen die SGE den Gegner gut und mit Kontrolle und mit gutem Anlaufen der offensiven Räume und erkennbaren offensiven Mustern den Gegner ausspielte, während von Union deutlich weniger solcher Aktionen zu sehen waren, auch hier ist Glasner weitgehend zuzustimmen.

Allerdings bringt es wenig, sich darüber zu beklagen, wie destruktiv das Union-Spiel ist, so spielen sie nicht seit gestern und jeder weiß, dass sie mit Standards und langen Bällen immer gefährlich sind und einen Vorsprung mit Mann und Maus verteidigen können. Umso wichtiger ist es, in Spielen gegen sie, entweder selbst in Führung zu gehen, oder zumindest nicht in Rückstand zu geraten, weswegen ganz besonders darauf geachtet werden muss, möglichst keine Ecken zu produzieren und bei langen Bällen in der hinteren Reihe möglichst Überzahl zu halten und diese auszuspielen.

Das 1:0 für Berlin entstand aus einer Ecke und hier ist Glasner, der nach dem Spiel meinte, die Ecke sei „unnötig“ gewesen, zum ersten Mal zu widersprechen, denn so einfach war diese Ecke nicht zu verhindern. Sie entsprang einem der seltenen gut vorgetragenen Berliner Angriffe nach Positionsspiel aus der eigenen hinteren Reihe bis in die Spitze, bzw. die Rechtsaußenposition (eintracht.tv ab 8:09), von wo Juranovic dann flankte und Trapp den Ball (vermeintlich, denn ob er ihn überhaupt berührt hat, ist auf den Bildern nicht sicher zu erkennen) zur Ecke lenkte. Das Problem bei der Ecken-Entstehung war wie so oft, dass die defensive Zentrale mit nur einem einzigen Spieler besetzt war und die Abstände zwischen Kette und Mittelfeld viel zu groß wurden:

Während die Kette zur Konterabsicherung hier richtig steht, also nicht im Halbraum, sondern so tief, dass sie den Berlinern die zentrale Tiefe nimmt und zu breitem Spiel über außen zwingt, sind beide Sechser, Kamada und Sow zu weit aufgerückt, ohne Zugriff auf Haberer, der den Angriff dann über rechts außen fortsetzen kann.

Hier kann man sich durchaus einmal bei Union anschauen, wie solche stehenden Situationen korrekt verteidigt werden, nämlich aus einer tiefen Position mit engen Abständen Kette-Sechser. Einen solch gut gestellten, breiten Angriff der Berliner, die mit Seitenwechseln arbeiten und den Pressing-Zugriff so verhindern, „nach vorne verteidigen“ zu wollen, ist völlig hanebüchen und Sow hatte hier auch eigentlich genug Zeit, auf seine Position zurückzukehren. Stattdessen steht Haberer hier völlig frei und kann den Angriff fortsetzen.

Die Ecken-Situation, die dann zum Tor führt, entsteht nun u.a aus einem alten Bauerntrick:

Khedira „schleicht“ sich hinter die 5 SGE-Verteidiger, die an der Fünf-Meter Linie die Ecke erwarten, direkt neben Trapp, löst sich dann in dem Moment, wo der Ball gespielt wird, steht so frei vor dem Tor und schießt aus wenigen Metern ein – das ist der Grund, warum bei diesen Situationen immer ein direkter Gegenspieler auch bei dem Gegner stehen sollte, der sich direkt zum Torwart begibt und das ist der Grund, warum man Ecken auch ganz hinten in einer Mischung aus Mann- und Raumdeckung verteidigen sollte. Bei der Hereingabe selbst attackiert Jordan dann aus dem Rückraum den kurzen Pfosten (Sow lässt ihn laufen), weshalb dann Lenz und Smolcic dort 2 gg. 2 in die Duelle müssen und sie verlieren.

Auch Lenz und Smolcic sehen hier nicht sehr gut aus und Tuta läuft ohne ersichtlichen Grund auf die Torlinie, statt in seinem Raum zu bleiben (in dem der Ball dann landet und Khedira vor die Füße fällt), allerdings ist das von Union auch stark gestellt und angelaufen, so einfach ist es nicht, diese Ecken zu verteidigen.

Ähnlich verhält es sich mit langen Bällen. Klar hat dabei häufig der Verteidiger einen Vorteil, weil er „in den Ball“ laufen kann, dennoch muss man auch bei langen Torwartabschlägen darauf achten, dass sich die beteiligten Verteidiger entweder gegenseitig sichern (am besten in Überzahl) oder doch zumindest jeweils 1 gg. 1 stehen und keine Unterzahlsituationen direkt zum Tor oder zur Abschlussvorbereitung zulassen. Nichts davon gelingt der SGE beim zweiten Gegentor:

Bei Abschlag von Rönnow ist die defensive Organisation schon nicht optimal. Smolcic und Tuta stehen je 1 gg. 1 gegen Behrens und Becker, also in Gleichzahl ohne Absicherung, Ndicka ist zu weit weg, um sichern zu können, muss außerdem Haberer im Auge behalten, weil Sow und Kamada auch ohne Zugriff auf ihn sind. Dabei zeigen die beiden Union-Stürmer ja deutlich an, in welchen Raum sie den langen Ball haben wollen. Eine bessere Positionierung der SGE-Defensive mit Sow gegen Haberer und Nidcka als nahe Absicherung wäre durchaus möglich gewesen. Buta, Sow und Kamada haben überhaupt keine Gegenspieler und insgesamt steht die Mannschaft sehr weit aufgerückt, obwohl bekannt sein dürfte, dass Union solche aufgerückten Gegner gern und oft mit einem langen Ball überspielt.

Wenn nun schon Smolcic und Tuta 2 gg. 2 solche langen Bälle verteidigen müssen, muss das dann aber zumindest sauber verteidigt werden, d.h. die beiden Verteidiger müssen in Manndeckung bleiben. In dieser Situation kann man keinen Raum mehr verteidigen ohne direkt in Unterzahl zu geraten, zumal Rechtsverteidiger Buta überhaupt nicht in Schlagdistanz ist. Im Standbild oben kann man aber schon erahnen, dass die beiden Berliner Stürmer den Ball nach außen so attackieren, dass Tuta kontraintuitiv sich zum Ball orientiert, während Becker nach außen und Behrens direkt ins Kopfballduell gehen würde, was dann nach außen eine 2 gg. 1 – Überzahl der Berliner ergäbe. Und genau so kommt es:

Die Situation beim Kopfballduell Tuta-Behrens: Behrens hat es geschafft, dass Tuta Becker laufen lässt und Smolcic nun keinen Gegenspieler mehr hat, dafür Union außen 2 gg. 1 steht. Da auch Sow hinter Haberer herläuft, hat Behrens zwei Anspielmöglichkeiten. Nur nach innen hat die SGE (mit Smolcic, der Tuta sichert), Überzahl. Dass nun Behrens den Ball gar nicht nach außen abgelegt bekommt, sondern in den Raum Richtung Smolcic, was für die SGE eigentlich optimal ist, weil sie in diese Richtung ja Überzahl hat, sich Behrens dann aber in der 1 gg. 2 – Unterzahl durchsetzen kann, ist schon bemerkenswert.

Was Smolcic dann in seinem Zweikampf gegen Behrens veranstaltet, ist natürlich völlig hanebüchen. Er will den springenden Ball offenbar wegdreschen, kommt aber zu spät und tritt ein Luftloch, während Behrens den Ball an ihm vorbeispitzelt, allein Richtung Tor marschiert, wo er ihn dann Trapp durch die Hosenträger zum 2:0 ins Tor schießt. Der entscheidende und größte Fehler in dieser Situation liegt aber natürlich bei Smolcic, der als letzter Mann sich niemals selbst derart aus dem Spiel schießen darf. Er muss hier entweder mit dem dem Körper zum Ball, sodass Behrens ihn zumindest nicht einfach an ihm vorbeispitzeln kann, oder er muss wegbleiben und dann den Zweikampf mit Behrens seitlich aufnehmen.

Das Fazit

In der ersten Halbzeit war die SGE das bessere Team, hätte hier das Spiel für sich entscheiden können, scheiterte aber entweder an Rönnow (dem nach Sofascore-Werten stärksten Berliner) oder an eigenen Ungenauigkeiten im Spiel in die Spitze, auch hier ließen sich einige Szenen zeigen.

Außerdem verteidigten die Unioner wie üblich mit hoher Quantität und sehr tief, besonders nach der Führung, was es dann der SGE natürlich noch schwieriger machte, zu Abschlüssen zu kommen. Dennoch: Das Spiel war im vergleich zu den vorangegangenen eher wieder ein Schritt nach vorne, insbesondere in der Offensive gelang es der Eintracht, gegen defensiv sonst sehr stabile Berliner, Chancen herauszuspielen, sodass auch Union-Trainer Fischer nach dem Spiel das Spielglück seiner Mannschaft herausstellte.

Zu dem defensiven Problem und den wütenden Glasner-Reaktionen nach dem Spiel ist indes festzustellen:

Das Problem besteht seit Jahren. Von sgefussballanalyse wird seit Anfang der vergangenen Saison immer wieder darauf hingewiesen und demonstriert, dass während der Amtszeit von Glasner das defensive Chaos der Hütter-Ära kaum gelichtet werden konnte. Die beiden Situationen bei den Gegentoren im Union-Spiel waren im Vergleich zu den teilweise krassen Stellungs- und Kettenfehlern, der dauernden rundweg sorglosen Vernachlässigung der defensiven Positionen durch die beiden Sechser und dem fehlenden Zurückweichen bei isoliertem Konterverteidigen eher unglücklich als systemisch.

In beiden Szenen sehen Tuta und Smolcic nicht gut aus, allerdings war die Ecke der Berliner auch gut gespielt und angelaufen und beim zweiten Tor verliert Tuta das Kopfballduell und Smolcic macht einen krassen individualtaktischen Zweikampffehler. Bei allem Ärger über die beiden Spieler sollte aber nicht vergessen werden, dass sie gerade für Verteidiger sehr jung sind (Smolcic 22, Tuta 23). Den jungen Spielern die Qualität abzusprechen und zu behaupten, das könne man nicht trainieren, ist eine überaus bedenkliche Ansicht, denn selbstverständlich kann sowohl Kopfballverhalten, als auch korrektes Anlaufen von springenden Bällen geübt werden. Genauso kann eine Organisation bei Gegner-Ecken etabliert werden, die nicht unentwegt zu Gegentoren führt und selbstverständlich gehört all das zu den Aufgaben eines Profitrainers. Dafür ist er da, dafür erhält er ein üppiges Gehalt und insbesondere solch junge Spieler sind darauf angewiesen, im Training adäquat auf solche Situationen vorbereitet zu werden. Dass weder Tuta noch Smolcic und ebensowenig Ndicka während der Amtszeit von Glasner nennenswerte Fortschritte bezüglich Zweikampfverhalten (Individualtaktik) und Ketten- und Stellungsspiel (Gruppentaktik) gemacht haben, nun allein den Spielern anzukreiden, ist schon sehr schwach und spricht eher dafür, dass Glasner offenbar das Latein ausgegangen ist, jedenfalls sind solche Vorwürfe gegen die eigenen Spieler ein sicheres Zeichen dafür. Auch dass der einzige etwas erfahrenere Innenverteidiger Touré überhaupt keine Rolle mehr spielt, ist ja Glasner Entscheidung.

Während also die Entwicklung des Teams etwas ins Stocken geraten ist, zusätzlich momentan etwas das Spielglück fehlt und auch der Trainer eine ungefähr genauso unglückliche Figur abgibt wie seine Spieler, kann aus analytischer Sicht festgestellt werden, dass die Mannschaft nach wie vor auf recht hohem Niveau Fußball spielt, derzeit aber etwas mit der eigenen Sicherheit im Offensivspiel und dem eigenen Selbstvertrauen zu kämpfen hat (was sich meist in einer fehlenden Balance hinsichtlich Risiko-Entscheidungen niederschlägt, das haben wir zuletzt auch gezeigt), und Trainer und Team das defensive Problem nach wie vor nicht in den Griff bekommen haben.

Inwiefern diese Baustellen bearbeitet werden können, wird letztlich über den Mannschaftserfolg entscheiden. Dass sich auch bei Glasner, der die defensive Schwäche lange herunterspielte oder für behoben erklärte, inzwischen sich auch bei ihm ein sehr klares Problembewusstsein eingestellt hat, ist – immerhin – ein Hoffnungsschimmer auf baldiges ernsthaftes Angehen dieser Misere.

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